HT 2023: Fragile Finanzen. Dynastien, Schulden und Krisenmanagerinnen in der Frühen Neuzeit

HT 2023: Fragile Finanzen. Dynastien, Schulden und Krisenmanagerinnen in der Frühen Neuzeit

Organisatoren
Verband der Historiker und Historikerinnen Deutschlands (VHD); Verband der Geschichtslehrer Deutschlands (VGD) (Universität Leipzig)
Ausrichter
Universität Leipzig
PLZ
04107
Ort
Leipzig
Land
Deutschland
Fand statt
In Präsenz
Vom - Bis
19.09.2023 - 22.09.2023
Von
Adina Eckart, Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Historisches Seminar, Universität Leipzig

Die Einführung begann Charlotte Backerra mit der Erklärung, dass der britische König Charles III. keine Erbschaftssteuer zahlte, als er die Nachfolge von Elisabeth II., seiner Mutter, antrat. Anders als die übrigen Bürgerinnen und Bürger des Vereinigten Königreichs. In seiner Reaktion führte das Königshaus an, dass es eine Schande für Großbritannien sei, sollten die Zahlungsunfähigkeit oder Schuldverhältnisse von Windsor öffentlich gemacht werden. Dieses Beispiel illustriert, so Backerra, einen Sonderfall der Gegenwart, während für die Frühe Neuzeit eine Vielzahl solcher, in der Sektion thematisierten Fälle bekannt ist.

CATHLEEN SARTI (Oxford) besprach in ihrem Vortrag die Handlungsspielräume dänischer Königshäuser. Im Kontrast zur bisherigen Wahrnehmung von Frauen bei der Erforschung von Kriegen, vornehmlich als Opfer, Krankenschwestern oder Prostituierte, legt Sarti den Schwerpunkt ihrer Forschung auf die Untersuchung der Kriegsfinanzierung im Auftrag von Königinnen, also die Finanzierung von – in den vorgestellten Beispielen – Söhnen oder Brüdern. Sarti fokussiert sich dabei auf schwedische und dänische Herrscherinnen im 15. und 16. Jahrhundert, die in der Forschung wenig, bis keine Beachtung fanden, da die Quellen für weibliche Finanzpolitik – wenn vorhanden – weniger eindeutig sind und anders zu bearbeiten, als es für diejenigen der Männer erforderlich ist. Die finanziellen Mittel einer Königin konnten sich unterschiedlich zusammensetzen. Für die Untersuchung weiblicher Kriegsfinanzierung bzw. die Frage nach Königinnen als Geldgeberinnen für den Krieg analysierte Sarti bislang die Finanzen von sechszehn Königinnen. In ihrem Vortrag stellte Sarti zwei Fallbeispiele vor: Dorothea von Brandenburg-Kulmbach (1430–1495), die ihren Sohn Frederik (I.) unterstützte, und Sophie von Mecklenburg-Güstrow (1557–1631), für die 1588 eine 43 Jahre andauernde Witwenschaft begann. Die Fallbeispiele zeigen, wie divers räumliche und politische Trennung funktionieren konnte. Außerdem, dass Kriege als teure Unternehmungen, die finanzielle Mittel brauchten, zumindest in Dänemark häufig durch die Mittel der Königinnen abgedeckt wurden.

Ihren Vortrag begann CHARLOTTE BACKERRA (Göttingen) mit einer Überblicksdarstellung über die territoriale Herrschaft der Landgrafschaft Hessen im Jahr 1648. Dabei stellte sie die Gliederung in Hessen-Darmstadt und Hessen-Kassel, die Hessische Teilung sowie die gemeinsame Herrschaft heraus, um anschließend den Blick auf das Haus Hessen sowie auf die regierenden und nicht-regierenden Mitglieder zu richten. Ohne männliche Nachkommen hätten hier auch die Töchter erben können, die anderen Falls von der Erbfolge ausgeschlossen gewesen wären. An die weiblichen Nachkommen wurden Ländereien gegeben, wenn sie heirateten. Aus denen konnten sie Einkommen erwerben, über das sie selbst verfügen und aus dem sie weitere Investitionen tätigten konnten.

Backerra konzentrierte ihre Untersuchung auf die Leitfrage des Umgangs von Dynastien bzw. Häusern mit Geld („Dynastiewirtschaften“). Hierfür untersuchte Backerra Quellen wie Testamente, Verträge und Investitionsmanagement. Verschuldung im Besonderen ebenso wie finanzielle Schwierigkeiten der Herrschaft im Allgemeinen sind dabei von Interesse. Tatsächlich standen die von Backerra untersuchten dynastischen Finanzen immer am Rande des Bankrotts. Es zeigte sich, dass vor allem in Kriegszeiten die Gattinnen mit ihren Mitteln die Finanzen der Ehemänner unterstützten, was sogar bis zur Sanierung der Herrschaftsfinanzen führen konnte.

Zu sehen sei dies am Beispiel des Herrscherpaares Moritz von Hessen(-Kassel) (1572–1632, reg. 1592–1627) und Juliane von Nassau-Dillenburg (1587–1643). Juliane, zweite Ehefrau von Moritz, benötigte zur standesgemäßen Absicherung ihrer Kinder eigenes Vermögen. Weil der Landgraf sein Vermögen großenteils für die enormen Unterhaltskosten seiner 18 Nachkommen aus zwei Ehen aufwenden musste, musste Juliane mit dem Einkommen aus dem ihr überantworteten Land einspringen. Offenbar wirtschaftete die Landgräfin gut und konnte in ihre eigenen Kinder „investieren“. Aufgrund seiner zunehmenden Verschuldung musste Landgraf Moritz seiner Gattin verstärkt Schuldscheine ausstellen und Ländereien überantworten. Schließlich versorgte Juliane mit ihren Einkünften den Hof. Diese Entwicklung gipfelte darin, dass der Sohn aus erster Ehe und Erbe, Wilhelm V., die Schulden des Vaters bei Juliane erbte. Vergleichend stellte Backerra heraus, sei die die Finanzsituation des Herrscherpaares Georg II. von Hessen(-Darmstadt) (1605–1661, reg. 1626–1651) und Sophie Eleonore von Sachsen (1606–1671) gestaltet gewesen. Auch Landgräfin Sophie nutzte Gelder, um in Landgüter zu investieren. Überdies war sie Kreditnehmerin bei jüdischen Geldgebern in Frankfurt, bei denen sie die Einnahmen aus ihren Ehegütern belieh.

MAIKE SCHMIDT (Leipzig) erläuterte mit einem regionalen Fallbeispiel, Hohengeroldseck, die Finanzstrategie der Maria Anna von der Leyen (1745–1803, reg. 1775–1793) und damit die ökonomische Überlebensfähigkeit von Mindermächtigen. Als Einstieg begann Schmidt mit einem Überblick der Familiengeschichte ab dem Jahr 1711. Dabei hob sie insbesondere den 1781 mit Frankreich geschlossenen Grenz- und Tauschvertrag hervor sowie die Bautätigkeit in Blieskastel an den Niederwürzbacher Schlössern, dabei vor allem der Bau an Neu-Phillippsburg ab 1782 und die damit verbundene finanzielle Situation der von der Leyen. Eine Rechnungsprüfung im Jahr der Fertigstellung dieses neuen Schlosses zu Blieskastel ergab Einsichten in die prekären Finanzen der kleinen Herrschaft. Vielleicht nur wegen der einstigen Bankrotte sind heute Kreditnetzwerke, Güterverluste (1793) und der Verkauf der Staatsbetriebe (1804) erkennbar.

Schmidt zeichnet die Aktivitäten Maria Annas anhand der Nachlassakten nach und untersucht an diesem Bestand, welche Mittel und Wege die Reichsgräfin unternahm, um die angespannte Finanzsituation zu sanieren. Die Geheimhaltung der Schulden hatte hierfür oberste Priorität, denn es war eine Verunsicherung der Gläubiger zu befürchten, sollte das Ausmaß der Verschuldung publik werden. Dementsprechend gab es beispielsweise keine offensichtlichen Sparmaßnahmen. Maria Anna suchte nach anderen Möglichkeiten zur Sanierung der Finanzen, wie zum Beispiel durch den Betrieb der Saline und die Nutzung von Landgut zur Landwirtschaft. Durch ihren Geschäftssinn konnte Maria Anna von der Leyen eine systematische Steigerung der Einkünfte erzielen. Dem stand bisweilen die Standeslogik gegenüber, denn Repräsentation war stets von großer Bedeutung. Finanzielle Probleme oder Verschuldung durften keinesfalls Gegenstand öffentlicher Wahrnehmung werden. Die Verschleierungsstrategie ging im konkreten Fall auf, weil der vermeintliche Reichtum der von der Leyen ausreichend erschien: Das Motto musste lauten, dass ein ehrwürdiges Haus sich Schulden leisten konnte.

FLORIAN ANDRETSCH (Wien) gab zunächst einen Überblick über das Patrimonium des Grafen Karl Joseph von Lamberg-Sprinzenstein (1713/ca. 1737), um vor dem Hintergrund der Struktur seines Vermögens (Besitztümern, Schuldposten et cetera) die Schuldenkrise vom Jahr 1735 zu erklären. An einer Aufstellung der Gläubigerinnen und Gläubiger zeigte Andretsch, dass der Anteil der Ansprüche von Frauen individuell bei insgesamt 30 Prozent lag, während derjenige der Männer die übrigen 70 Prozent ausmachte. Andretsch teilte die Schuldenkrise in vier Phasen. Eine Zeitleiste verdeutlichte, dass die erste Phase der Krise 1735 begann und 1743 in die zweite Phase überging, der sich bereits 1748 die dritte anschloss, die 1756 in die vierte Phase überging, die erst 1768 endete. Weiterführend wurden die Dynamiken der familialen Verteilung der ersten und zweiten Generation erläutert. Fideikommisse sollten in der Schuldenkrise den Status der Kinder sichern und das Vermögen in der jeweiligen Familienlinie halten. Daher wurden keine Testamente verfasst. Denn die gesetzliche Erbfolge sah die Verteilung des Vermögens auf die Kinder vor, nicht auf den jeweiligen Ehemann. Die Schuldbelastungsverbote der Fideikommisse waren jedoch leicht zu umgehen. Allerdings ließ der Staat überschuldete Aristokraten nicht unbestraft, auch wenn sich um ihre Statussicherung gekümmert wurde. Die Bemühungen fokussierten sich aber vor allem auf die Fideikommiss-Inhaber/-Nachfolger.

VERONIKA HYDEN-HANSCHO (Klagenfurt) skizzierte in ihrem Vortrag die Adelslandschaften in der Habsburgermonarchie des 18. Jahrhunderts. Hyden-Hanscho stellte heraus, dass adelige Frauen oft in adelige Konkursverfahren eingriffen, was sie unter der Berücksichtigung rechtlicher Rahmenbedingungen an mehreren Fallbeispielen vorführte, wie dem des Grafen Friedrich August von Harrach (1730er-Jahre in Böhmen, Mähren und Niederösterreich) und dessen Gattin, der Gräfin Maria Eleonora von Harrach, geb. Liechtenstein, die entgegen dem Ehevertrag einen Teil der Schulden übernahm. Insbesondere hob Hyden-Hanscho das Fallbeispiel des Fürsten Wenzel von Paar hervor. Der Oberst Hof- und General-Erblanden-Postmeister musste sich 1801 einem Konkursverfahren beim Böhmischen Landrecht angesichts eines Schuldenberges von über 1,34 Millionen Gulden unterziehen. Das Interessante an diesem Fall ist, dass dabei Wenzels Schwester Theresia Bucquoy und seine Ehefrau Maria Antonia von Liechtenstein als Saniererinnen des Hauses Paar auftraten. Die Schwester leitete als Administratorin die Insolvenz des Bruders. Die Entschuldung erfolgte auch aus Teilen ihres Vermögens und zusätzlich aus dem mütterlichen Erbe. Es wurden Kredite aufgenommen oder sich gegenseitig Kredite gegeben. Auch Schmuck wurde innerhalb der Familie verkauft. Die Schlussfolgerungen Hyden-Hanschos verweisen auf die sich ausweitenden Handlungsfelder adeliger Frauen bei Konkursen und Rücktritten der männlichen Regenten eines Adelshauses. Die Sanierung der Finanzen konnten einer Frau mit einem guten Netzwerk überlassen werden. Hierin liegt, so Hyden-Hanscho, die im Laufe des 18. Jahrhunderts beschleunigte Entwicklung der Verschuldung adeliger Männer (Brüder – Ehemänner – Väter – Söhne) bei ihren Gattinnen, wenn die Familien in finanzielle Bedrängnis gerieten. Insbesondere unverheiratete Schwestern profilierten sich mit innerverwandtschaftlichen Sanierungsstrategien im Haushalt ihrer Brüder. Die Frauen forderten zumeist keine Rückzahlung der Schulden, sondern festigten ihre herausgehobene Position mit Hilfe ihrer Finanzaufwendungen. Das gemeinsame Ziel der Bemühungen bestand im Erhalt des Familienbesitzes für die Erben. Da das Vermögen der Ehefrauen ohnehin auf deren Kinder übergehen musste, strebte die Elterngeneration nach Kräften die Sicherung des Familienerbes als Ganzes an, weniger einen standesgemäßen Lebensstil. Daraus leitet sich, im Sinne Hyden-Hanschos, eine Neuinterpretation des Begriffes des frühneuzeitlichen „Arbeitspaars“ her sowie der ehelichen Gütertrennung und des Dotalsystems im adeligen Zusammenhang. Das „Arbeitspaar“ konnte also auch Bruder und Schwester umfassen. Die Fixierung der Familie auf ein Leben im Jetzt wandelte sich hin zu Praktiken der Vorsorge für die nächste Generation und charakterisierte somit ein erneuertes (umgedeutetes) dynastisches Bewusstsein.

Die Zusammenhänge von dynastischer Herrschaft und Finanzen sowie die Wechselwirkung von dynastischem Wohlstand und politischer Stabilität standen im Fokus der Sektion. Vermögen, als Grundlage vorhanden, konnte dennoch oder deswegen zu „fragilen Finanzen“ oder finanziellen Engpässen führen. In der historischen Betrachtungsweise ist dies sichtbar, dennoch ist hier eine Forschungslücke, auf die die Sektion aufmerksam machen will.

Sektionsübersicht:

Sektionsleitung: Charlotte Backerra (Göttingen)

Charlotte Backerra (Göttingen): Einführung

Cathleen Sarti (Oxford): Königinnen finanzieren Krieg. Innerdynastische Finanzen und ihre politischen Auswirkungen“

Charlotte Backerra (Göttingen): Die landgräflich-hessischen Schuldensachen. Politische und dynastische Schulden und Finanzierungsstrategien in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts

Maike Schmidt (Leipzig): Das Dilemma der Mindermächtigen. Die reichsgräfliche Familie von der Leyen zwischen Ausgabenzwang, Vermögenserhalt und Unternehmertum nach 1775

Florian Andretsch (Wien): Strafe oder Rettungsaktion? Der staatliche und familiale Umgang mit der Insolvenz eines niederösterreichischen Adelshauses am Vorabend des Reformzeitalters

Veronika Hyden-Hanscho (Klagenfurt): Fallieren und Sanieren. Frauen, Familienstrategien und Fideikommisse im Habsburgischen Adel an der Wende zum 19. Jahrhundert

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